Wer fragt, der führt, Teil 2

„Du hast gesagt, ich soll lieber Fragen stellen als gleich loszupoltern. Hab ich gemacht. Hat aber überhaupt keinen Unterschied gemacht!“, beschwert sich der Kunde. „Was genau hast du denn gefragt?“, will ich wissen. Er: „Wie konnte das denn passieren?!“

In einem der letzten Blogartikel habe ich mich mit dem Fragen als Führungswerkzeug beschäftigt und damit, wie gutes Fragen neue Perspektiven erschließt. Aber nicht alles, was mit einem Fragezeichen endet, verbessert gleich die Kommunikation im Unternehmen. Ja, auch „Wer von euch Trotteln hat das draußen liegenlassen?“, „Wie oft muss ich euch das noch sagen?“ und „Muss ich denn wirklich alles selbst machen, damit es funktioniert?“ sind rein grammatikalisch gesehen Fragen. Aber zum fröhlichen Mitdenken und selbstverantwortlichen Handeln regen sie wohl eher nicht an. Sobald meine Fragen suggestiv oder rhetorisch werden oder ich in einen Verhörtakt hineinrutsche, fällt die Tür zwischen mir und meinem Gegenüber zu.

Aber wie geht es denn nun konkret, das gute Fragen?

Gutes Fragen besteht aus meiner Sicht zu 30 % aus Fragetechnik und zu 70 % aus Haltung. Ich fange mit dem Einfachen an, der Technik. Es gibt geschlossene Fragen, also die, die ich nur mit ja oder nein beantworten kann, und offene Fragen, die so genannten W-Fragen. W-Fragen beginnen mit einem Fragewort (Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum – Sie erinnern sich). Stelle ich zu viele geschlossene Fragen, fühlt sich der andere schnell bedrängt und ausgehorcht. „Hast du dein Zimmer schon aufgeräumt? Schularbeiten gemacht? Wenigstens den Müll rausgebracht?“ Spüren Sie mal nach, welches Gefühl diese Fragen bei Ihnen auslösen. W-Fragen hingegen öffnen den Raum für die unzähligen Möglichkeiten neben ja und nein. „Was ist der Grund dafür, dass du noch nicht aufgeräumt hast?“, „Wer hat eine Idee, wie wir in dieser Sache vorgehen können?“, „Wann können wir damit realistisch fertig werden?“

Mit W-Fragen verhinderst Du, dass sich jemand hinter einsilbigen Jas und Neins verstecken kann. Du lässt Deinem Gegenüber zugleich Platz für eigene Gedanken und lädst ihn/sie ein, aktiv mitzudenken.

Einzig mit der Warum-Frage bin ich vorsichtig, da sie schnell als Angriff verstanden wird (wir haben einfach zu oft rhetorisch warum gefragt). Ich ersetze deshalb meistens das Warum z. B. durch ein Weshalb oder Wozu kann das dienlich sein oder Aus welchem Grund, und es gibt noch viele weitere Warum-Alternativen (siehe Abb. 2).

 

Nun wirst Du mir mit Recht vorwerfen, dass viele der Fragen von ganz oben W-Fragen sind – ein offenes Gespräch leiten sie trotzdem nicht ein. Wichtiger als die Technik ist nämlich die Haltung, mit der ich die Fragen stelle. Wenn ich die anderen als Trottel betrachte, die nichts richtigmachen können, erwarte ich von ihnen auch keine erhellenden Antworten.

Ich selbst bin von Haus aus neugierig und lasse mich gern überraschen. Neue Perspektiven kennenzulernen finde ich spannend und bereichernd. Vielleicht fällt mir das offene Fragen deshalb leicht. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass man/frau eine wertschätzende, interessierte Haltung lernen kann. Ein erster Schritt dazu ist Selbstbeobachtung. Es hilft, vor dem Fragen kurz innehalten und zu überprüfen, ob ich wirklich an dem interessiert bin, was mein Gegenüber mir zu sagen hat.

Hätte mein Kunde von oben kurz durchgeatmet und aus ehrlichem Interesse an der Perspektive seiner Mitarbeiter*innen gefragt, hätte er seine Frage möglicherweise eher so formuliert: „Was ist aus eurer Sicht der Grund dafür, dass das schiefgegangen ist? Und was könnten wir ändern, damit uns so etwas nicht wieder passiert?“ Ich bin sicher, seine Chancen auf konstruktive Antworten wären exponentiell gestiegen!

Eure Barbara Beyer

PS: Natürlich lerne auch ich in Bezug auf das Fragen an sich immer noch dazu. Für mich ist die größte Herausforderung, kurze Fragen zu stellen und wirklich nur eine einzige Frage in einen Satz zu packen – auch wenn mich gerade mehrere Aspekte gleichzeitig interessieren. Viele Fragen auf einmal verwirren aber mein Gegenüber. Deshalb übe ich, nach einer Frage eine Pause zu machen, kurz die Reaktion des/der anderen zu beobachten und ggf. die Frage umzuformulieren, wenn ich Fragezeichen in seinem Gesicht wahrnehme. (Sollten Sie mich bei Mehrfachfragen erwischen, fragen Sie mich ruhig, ob mir das gerade bewusst ist!)

 

Hinweis
„Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit verwende ich in meinen Blogs die gewohnte männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen. Dies impliziert jedoch keine Benachteiligung des weiblichen oder neutralen Geschlechts, sondern soll im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen sein.“